Das Karolingische Reich
In der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts war die Macht der Merowinger, des ältesten fränkischen Königsgeschlechts, am Ende. Das Reich war durch viele Machtstreitigkeiten und Kriege in viele einzelne Teile zerfallen. An der jeweiligen Spitze standen Adelsgeschlechter, die als „Hausmeier“ immer mehr Einfluss hinzugewannen, z.B. Pippin der Mittlere ( 687 – 714 ), so dass diese Familien die eigentlichen Regierenden waren, obwohl es noch bis Mitte des 8. Jahrhunderts merowingische Könige gab.
Die Sieger im Kampf um die fränkische Königsherrschaft waren am Schluss die „Karolinger“.
732 gelang es Karl Martell bei Tours und Poitiers die Araber vernichtend zu schlagen. Karl war ein unehelicher Sohn von Pippin dem Mittleren. Erfolg im Kampf, begründet in der damaligen Zeit mit einer von Gott gegebenen Macht dem „Gottesgnadentum“ nahm ihren Anfang. Zuhilfe kam noch die von England ausgehende Missionierung des ganzen Frankenreichs. Mit Genehmigung des damaligen Papstes stand der Missionar Bonifaz an erster Stelle.
Im Frankenreich hatte sich in den größeren Städten schon seit der Römerzeit ein von Bischöfen geführtes Christentum etabliert. Dieses war auch nach dem Zerfall des Römischen Reichs, in dem das Christentum Staatsreligion war, bestehen geblieben. Oft riesige Besitztümer waren aus diesen Gemeinden entstanden, die Karl Martells Aufstieg finanzierten, indem er sie einfach übernahm.
Karl Martell teilte das Reich noch vor seinem Tod unter den zwei Söhnen Karlmann und Pippin auf. Vielen anderen adligen Familien passte der Machtzuwachs der Pippiniden ( so werden die Karolinger in der Geschichtswissenschaft auch bezeichnet ) nicht, deshalb unterstützten sie noch einmal die Wahl eines merowingischen Königs.
Karlmann, der in einer engen Beziehung mit Bonifatius stand und anscheinend ein überzeugter Christ war, gab den Bruderkampf um die Herrschaft auf und zog sich 747 in das Kloster Monte Cassino zurück. Pippin war nun der alleinige Hausmeier.
Pippin wandte sich nun an den Papst in Rom. Er fragte an: Solle derjenige König sein, der die Macht habe, oder der, der nur den Titel habe? Der Papst, der sich dadurch einen Verbündeten erkoffte, entschied im Sinne von Pippin.
751 wurde der Merowingerkönig Childerich III. abgesetzt, Pippin III. ( 751 – 768 ) zum König gekrönt und Bonifatius salbte ihn nach alt-testamentarischem Vorbild zum König.
Papst Stephan II. erhoffte sich aus dieser Entscheidung, dass die Franken aktiv als Ordnungsmacht in Italien eingriffen. Die eigentliche Ordnungsmacht – Byzanz – hatte eigene Probleme und der Stamm der Langobarden war im Begriff sich in Italien auszubreiten und dem Papst Ländereien zu entziehen.
In Franken selbst machte sich Widerstand gegen die Pläne Pippins breit. Karlmann wurde aus dem Koster zurückgeholt, aber Pippin schickte ihn zusammen mit seinen Söhnen wieder dorthin zurück. So konnte man sich unblutig eines Rivalen entledigen.
Pippin führte nun zwei Kriege gegen die Langobarden.
756 versprach Pippin dem Papst, dass er ihm die hinzugewonnenen Ländereien überlassen werde. Es ging hier um die Gebiete von Ravenna und um das Dukat von Rom. Man spricht davon, dass dies der Beginn des Kirchenstaats gewesen sei.
In der zweiten Hälfte des 8. Jahrhundertes entstand auch noch die „Konstantinische Schenkung“, eine Urkunde, welche die Vormachtstellung des Papstes über die weltliche Gewalt beweisen sollte.
Durch die längere Abwesenheit musste sich Pippin erst wieder die Macht im eigenen Land zurückerobern, was ihm letztlich auch gelang. Nach Pippins Tod im Jahre 768 wurde das Reich unter dessen Söhnen aufgeteilt – Karl und Karlmann. Letzterer starb aber bereits 771, somit war Karl (der Große) ab sofort alleiniger Herrscher über das Frankenreich.
Seine größten Aufgaben bestanden darin:
– Die Reichsgrenzen festzulegen und zu verteidigen
– Einen funktionierenden Staat zu schaffen
– Sich der Unterstützung des gesamten fränkischen Adels zu versichern
– Das Christentum zu legitimieren
– Eine Verwaltung des Reichs aufzubauen
774 eroberten die Franken das Langobardenreich. Karl führte ab diesem Zeitpunkt den Titel „Rex Frankorum et Langobardorum“ = König der Franken und Langobarden.
788 setzte Karl den Herzog von Bayern, Tassilo, ab und verbannte ihn ins Kloster. Aus dem Königreich Bayern wurde ein Herzogtum, in dem Karl jetzt die Regierenden bestimmen konnte.
Fast jedes Jahr führte Karl der Große einen Feldzug gegen die Sachsen. Dieser Volksstamm wollte sich einfach nicht zum Christentum bekehren lassen. Obwohl er das Heiligtum der Sachsen ( Irminsul, eine hölzerne Säule ) zerstört hatte, wollte sich das einfache Volk nicht den Franken unterordnen. Erst 802 konnten die Sachsen ein eigenes Recht erhalten und die harten Bestimmungen aus den vorherigen Jahren gelockert werden.
Obwohl Karl durch die Sachsenkriege fast immer militärisch gebunden war, führte er dennoch sehr erfolgreiche Feldzüge gegen die Awaren ( Länder des heutigen Osteuropas und einstmaligen Jugoslawiens ), wo er z.B. einen riesigen Goldschatz erbeutete.
799 wurde Papst Leo III. in den Straßen Roms angegriffen, er floh zu Karl dem Großen und wagte sich erst wieder zurück, als ihn ein fränkisches Heer begleitete. Um die Vorwürfe gegen Papst Leo zu untersuchen, kam Karl im Jahr 800 selbst nach Rom. Dort führte er die Untersuchungen gegen den Papst und setzte ihn wieder ein. Am Weihnachtstag des Jahres 800 krönte Leo III. Karl den Großen zum Kaiser und das römische Volk ernannte ihn zum Schutzpatron Roms.
Wie schon bei Pippins Königskrönung so auch bei der Kaiserkrönung Karls ging es nicht um eine Machterweiterung , sondern um die Legitimation der Macht durch den Papst – ein Miteinander oder ein Kampf um die Vormachtstellung wird sich noch in späterer Zeit zeigen.
Das Frankenreich hatte eine riesige Ausdehnung angenommen. Es umfasste inzwischen ganz Westeuropa. Karl versuchte nun durch die Übergabe von Ämtern seine Verwaltung zu stabilisieren. Eine große Rolle spielten dabei Königsboten ( missi ) und Herzöge ( comes ). Mit Hilfe von schriftlich verfassten Gesetzestexten ( Kapitularien ), die von den Boten ins Land getragen wurden und von den Herzögen umgesetzt, herrschte Karl erfolgreich.
Diese „Mitarbeiter“ entstammten alle dem Hochadel. Es waren Personen, die schon während der Merowingerzeit die Nähe des jeweiligen Herrschers gesucht hatten. Königsboten bestanden immer aus einem Paar – einem weltlichen Adligen und einem geistlichen Vertreter, einem Bischof.
Viele neue Kirchen und Klöster wurden zu dieser Zeit erbaut, oft von Adligen, die sie als Eigentum behandelten. Sie dienten der Versorgung der Adelsfamilien, man nennt sie deshalb Eigenkirchen und Eigenklöster.
Die Struktur des Reichs war eine grundherrliche. Weltliche Große erhielten ihre Gebiete aus der Hand des Königs.